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Veröffentlichung im Rahmen des Literaturwettbewerbs Neue Prosa 14/15

Veröffentlichung meiner Kurzgeschichte Letzte Woche im Rahmen des Literaturwettbewerbs Neue Prosa des Literaturhauses Schleswig-Holstein in der gleichnamigen Anthologie.

https://literaturhaus-sh.de/literaturland_sh/anthologie-neue-prosa.html

Letzte Woche

Mittwoch

Es floß gleichmäßig und
Ruhe kehrte ein.
Linie für Linie.
Morgen ist weit weg.
Morgen bin ich tot,
vielleicht.
Nein, ich nicht.
Sie vielleicht.
Das kann schon sein.
Damit muss ich leben.
Sie nicht.

Dienstag

Ich habe ihr ein Versprechen abgerungen: „Wenn du dich umbringen willst, dann tue es, aber nimm unsere Tochter, meine Tochter, nicht mit.“

Sie hat zugestimmt.

Blut ist ungeduldig, es muss immer fließen oder es vertrocknet, auf der Haut wie im Geiste.

Ich muß lächeln und denke an Eckhard, der immer zu mir sagt: „Das ist deine große Schwäche, du vermischst die Dinge zu sehr.“

Ja, ich vermische die Dinge zu sehr: Traum und Realität, Literatur und Realität, Leben und Realität; denn das sind ja sehr getrennte Dinge. Eigentlich. Entweder man lebt oder man befindet sich in der Realität. Dazwischen ist irgendwo anders, Faserland. Die Realität ist immer das Ende des Weges, das Leben ist der Anfang, Faserland dazwischen; das Auenland daneben, ein Ort, wohin man strebt. Ich hätte Gandalf ja gefragt, wenn er dagewesen wäre, war er aber nicht. Gandalf ist eben nicht Tschick.

Montag

Es ist sieben Uhr der Wecker klingelt. Meine kleine Tochter springt in mein Bett und lacht mich an. Ist das Leben so einfach? Kann das sein? Einfach nur lachen, wenn ein neuer Tag beginnt? Sie legitimiert mich. Sie lasse ich zurück, eines Tages. Wird sie weinen? Wird sie darüber traurig sein? Muss ich das wissen? Nein. Sie ist wie ich war, bevor mein Leben Realität wurde. Wäre es Leben geblieben, hätte ich jeden Morgen um sieben Uhr gelacht, wenn der Wecker klingelt.

Sonntag

Wenn ich an Übermorgen denke weiß ich, dass es ein schwieriges Gespräch wird. Es geht um Leben und Tod. Ich weiß aber noch nicht, dass wir übermorgen darüber reden werden. Wie denn auch, es ist ja noch Sonntag. Doch ich rechne mit dem Unerwarteten, jeden Tag und es kommt, das macht es so vorhersehbar. So vorhersehbar wie:

Über allen Gipfeln
Ist Ruh’,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

Ironie, dass deine Hütte abgebrannt ist, Wolfgang.

Ich bin ein Erzähler, ein Ich-Erzähler, auktorial; denn ich weiß alles. Genau wie Gott, der weiß auch alles, glaubt er jedenfalls. Jeden Morgen also höre ich mir die Geschichte des Kleinen Prinzen an: „Wenn man seine Morgentoilette beendet hat, muss man sich ebenso sorgfältig an die Toilette des Planeten machen.“ Heute nicht. Heute ist Sonntag, Kleiner Prinz. Sonntag ist dieser Planet einfach nur rund und da, noch; und ich bin auf ihm drauf, ohne dass ich es merke, ohne dass andere es merken. Sie merken es aber auch sonst nicht; denn letztlich ist die Welt kein Asteroid, sondern ein schwarzes Loch, das permanent Leben von seinen Trabanten absaugt, bis es sie schließlich verschlingt. Realität eben. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Gestern war Samstag, da war die Welt noch in Ordnung. Glück auf!

Samstag

Unentdeckt. Ein Paradies tut sich vor mir auf:

So soll der purpur deiner lippen
Itzt meiner freyheit bahre seyn?
Soll an den corallinen klippen
Mein mast nur darum lauffen ein /
Daß er an statt dem süssen lande /
Auff deinem schönen munde strande?

Helen, das ist nicht mein Paradies. Leider.

All das, bevor Strong von London Grammar durch den Raum schwebt. „Gib’s auf“, ruft der Schutzmann. „Nein!“, hauche ich atemlos und ich reite mit den Blauen Pferden, ohne Ziel. Ich brauche Ziele, darum reite ich den Turm hinauf, um in der Ferne einen Leuchtturm zu finden. Ein Merlot von Rites du Sud leuchtet in der Dunkelheit, ein 2011er. Ein starkes Licht.

Sie ist nicht mehr da. Sie ist mit Coppelius in den Keller hinabgestiegen und kommt nicht mehr heraus, Lothar. Ich muss den Archivarius fragen, damit ich ebenfalls hinabsteigen kann, um ihr zu helfen, um sie zu suchen.

Freitag

In der Flamme hinabgestiegen, zwischen Geistern, die ich rief und Stimmen, die mich bedrängen. „Ich bleibe der Erzähler, ich bleibe Gott, der ‚Second Maker‘“ Der Salamander weist mir den Weg – auf ihn ist wenigstens Verlaß. Wir sind auf Patrouille, tief im Feindesland:

Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.

Ich habe keine Angst – ich bin Schalke-Fan. Der Salamander weist auf eine Tür. Sie ist angelehnt.

Donnerstag

Der letzte Tag.

Rien ne va plus.

Der Kleine Prinz erzählt Coppelius seine Geschichte.

„Hey, ich bin der Erzähler!“, fauche ich!

Schweigen.

Coppelius grinst Verrat.

Ich stürze in den Raum. Halte Venus in meinen Armen. Nein, es ist Aphrodite. Lasst uns endlich ehrlich sein! Ihr Körper ist kalt, alt, Tod, weich, blass-blaue Haut in rotem Wasser. Sagte ich doch: „Blut ist ungeduldig“.

Es floß gleichmäßig und
Ruhe war eingekehrt.

Sie hielt ihr Versprechen!

An einem

Mittwoch

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